Interview mit SES
24. Februar 2022
Der Satellitenbetreiber SES ist nicht allein in Deutschland seit mehr als 35 Jahren für die Satellitenposition Astra auf 19,2° Ost bekannt. Mehr als 17 Millionen Haushalte empfangen hierzulande ihre Fernsehprogramme über die prominenteste Orbitalposition per Satellitendirektempfang. Während GEO-Satelliten, welche in einer Höhe von 36.000 km über der Erde im Weltraum platziert sind, perfekt für den Fernsehempfang geeignet sind, operieren MEO-Satelliten in einer deutlich geringeren Höhe von „nur“ 8.000 km. Doch wie unterscheiden sich GEO- und MEO-Satelliten? Was sind die Vorteile von MEO-Satelliten und wozu werden diese genutzt? Wir sprachen mit Herrn Volker Leyendecker, Regional Sales Director des Satellitenbetreibers SES S. A., über die neuen O3-mPOWER-Satelliten, welche noch in diesem Jahr an den Start gehen sollen.
SATVISION: Mit welchem Hintergrund startet SES eine neue Satellitenflotte und aus wie vielen Satelliten besteht diese?
Volker Leyendecker: SES ist seit mehr als 35 Jahren an der Spitze der Satellitenindustrie tätig. In dieser Zeit haben wir Millionen von Haushalten in Deutschland mit Fernsehen über unsere ASTRA-Satelliten versorgt und in den letzten Jahren unser HD+ Angebot erweitert. Neben der kontinuierlichen Bereitstellung von Videoinhalten über Satellit haben wir auch unser Datengeschäft ausgebaut, und zwar mit unseren geostationären HTS-Satelliten sowie seit 2014 mit der O3b-Satellitenkonstellation in der mittleren Erdumlaufbahn. Mit dieser versorgen wir Kunden in mehr als 50 Ländern auf der ganzen Welt, darunter Kreuzfahrtunternehmen, Telekommunikationsunternehmen, Internet-Service-Provider, Regierungen und institutionelle Organisationen. Bis heute ist O3b das einzige voll funktionsfähige NGSO-System im Weltraum.
Nach dem Erfolg der aktuellen O3b-Konstellation von SES, die aus 20 MEO-Satelliten besteht, ist in verschiedenen Märkten die Nachfrage nach dynamischen Konnektivitätsdiensten mit hoher Bandbreite und niedriger Latenz gestiegen. Um dieser Nachfrage gerecht zu werden, startet SES jetzt ein Kommunikationssystem der nächsten Generation, das noch leistungsfähiger und flexibler sein wird als bisher – O3b mPOWER. Das System umfasst zunächst eine Konstellation von 11 MEO-Satelliten mit hohem Durchsatz und niedriger Latenz inkl. einer umfangreichen Bodeninfrastruktur und intelligenten Software. Der erste O3b mPOWER-Satellit wird im zweiten Quartal 2022 gestartet und das System wird Ende 2022 betriebsbereit sein.
Techniker bei der Arbeit an der O3b mPOWER-Satellitenhardware in der Produktionshalle von Boeing in El Segundo, Kalifornien.
SATVISION: Welche Abmessungen haben die neuen Satelliten, was für ein Gewicht und was benötigt es an Power (Kraft), um die Satelliten auf die festgelegte Position im All zu bringen. Und wie lange dauert es vom Start bis zur finalen Position und Inbetriebnahme?
V. Leyendecker: Im Vergleich zu herkömmlichen Satelliten sind die O3b mPOWER-Satelliten mit 1.900 kg Trockenmasse (gegenüber 3.750 kg bei herkömmlichen Satelliten) deutlich leichter. Dank vollständig digitaler Nutzlasten und einer softwaregestützten Architektur benötigt der Satellit nur etwa 400 Hardwarekomponenten und ist damit auch kompakter. Die Abmessungen eines O3b mPOWER-Satelliten betragen 3 Meter × 3 Meter × 1 Meter. Nach dem Start durchlaufen die Satelliten einen vier- bis fünfmonatigen Prozess zur Positionierung auf die Umlaufbahn, gefolgt von einer einmonatigen Phase, in der sichergestellt wird, dass die ersten sechs Satelliten korrekt platziert sind, damit sie Ende 2022 ihren Dienst aufnehmen können. Die Betriebsdauer eines Satelliten wird bei rund 10 Jahren liegen.
SATVISION: Was ist der MEO-Orbit, warum werden die Satelliten dort positioniert und wo liegt der Unterschied zu GEO-Satelliten?
V. Leyendecker: Traditionell werden GEO-Satelliten aufgrund ihrer Höhe für Dienste wie Wetterdaten, Fernsehübertragungen und Datenkommunikation mit geringer Geschwindigkeit genutzt.
Im Vergleich zu GEO-Satelliten, die 36.000 km von der Erde entfernt operieren, sind die MEO-Satelliten von SES in einer Höhe von 8.000 km positioniert. Das verringert die Latenzzeit erheblich und ermöglicht die Bereitstellung von Konnektivitätsdiensten aus dem All mit Glasfaserperformance für Anwendungen wie Videokonferenzen, Live-Gaming, 4G-Services und vieles mehr.
Bereits mit dem aktuellen O3b-System ist es uns im Laufe der Jahre gelungen, Gemeinden und Unternehmen auf der ganzen Welt erfolgreich zu versorgen und ihre Entwicklung zu beflügeln, indem wir ihnen Internetdienste mit geringen Latenzzeiten zur Verfügung gestellt haben. Ein Beispiel dafür ist unsere Zusammenarbeit mit Bluesky Cook Islands, wo wir gemeinsam die Einführung von 4G+-Diensten auf den Cook-Inseln ermöglichten. So können sich die Bewohner und Unternehmen auf der abgelegenen Insel über das neu verfügbare Mobilfunknetz mit dem Rest der Welt verbinden.
Das neue O3b mPOWER Satelliten-System wird duch den hohen Datendurchsatz gepaart mit geringen Latenzen sowohl auf Kreuzfahrten als auch in der Luftfahrt genutzt.
SATVISION: Welche Bedeutung respektive Konsequenzen haben die verschiedenen Höhen in Bezug auf die Abdeckung (Bestrahlung) eines Satelliten?
V. Leyendecker: Da sie näher an der Erde stehen, ist die Reichweite der Beams im Vergleich zu GEO-Satelliten geringer, aber immer noch groß genug, um 96 % der Weltbevölkerung mit nur sechs Satelliten zu erreichen. Im Falle von GEO-Satelliten werden nur drei benötigt. Wir bei SES sind vom Multi-Orbit-Ansatz und der Strategie mit GEO- und MEO-Satelliten überzeugt, da wir damit Ausfallsicherheit bieten und verschiedene Abdeckungsniveaus und Latenzzeiten ermöglichen, die in Echtzeit je nach Dienstanforderungen angepasst werden können.
SATVISION: Warum werden jetzt so viele Satelliten in einer deutlich geringeren Höhe positioniert?
V. Leyendecker: Der Bedarf an zuverlässiger Konnektivität in der ganzen Welt steigt, sei es für Breitbandanschlüsse in Privathaushalten, in schwer zugänglichen Gebieten, in denen die digitale Kluft besonders groß ist, oder für verschiedene Anwendungen für Regierungen oder Unternehmen. Hier ist der Satellit zu einer sehr naheliegenden Lösung für die Bereitstellung zuverlässiger Dienste geworden, die nicht durch terrestrische Gegebenheiten eingeschränkt sind. Um dabei Dienste mit einer zu Glasfaser vergleichbaren Leistung anbieten zu können, spielt die Latenzzeit des Satelliten eine entscheidende Rolle. Je näher die Satelliten an der Erde sind, desto geringer ist die Latenzzeit. Mit unseren MEO-Satelliten stellen wir sicher, dass wir nicht nur diese niedrige Latenz, sondern auch eine hohe Leistung für anspruchsvolle Datenanwendungen wie 5G und Cloudservices bieten.
SATVISION: Was zeichnet die O3b mPower-Satelliten aus? Welche Services bieten Sie mit der neuen Flotte an?
V. Leyendecker: Die mPOWER-Satelliten von O3b sind so konzipiert, dass sie Konnektivität mit niedriger Latenz und hohem Durchsatz im Ka-Band bieten. Das System liefert eine enorme Skalierbarkeit, ist hochflexibel und stellt mit einer schnellen Bereitstellung von Beams sicher, dass Dienste schnell zur Verfügung stehen. Mehr als 5.000 Beams pro Satellit ermöglichen es, die steigende Nachfrage zu befriedigen und den Kunden zu helfen, ihr Geschäft auszubauen.
Das System besteht aber nicht nur aus Satelliten, sondern bildet mit Technologiepartnern ein ganzes Ökosystem von Bodeninfrastruktur und Software. Mit ARC, einer firmeneigenen Software, können wir das Netzwerk im Weltraum und am Boden dynamisch konfigurieren und so sehr flexibel Bandbreiten in Echtzeit je nach Nachfrage überall dort bereitstellen, wo sie benötigt werden (SES-Gateways, Kunden-Gateways und Cloud-Rechenzentren). Durch Gateways, die wir gemeinsam mit Cloud-Anbietern wie Microsoft betreiben, sind Cloud-Dienste nur einen Klick entfernt und liefern Endnutzern hochperformante Cloud-Anwendungen.
O3b mPOWER wird eine Vielzahl von Kunden aus unterschiedlichen Bereichen mit High-Throughput- und High-End-Konnektivität bedienen, etwa Mobilfunknetze, Kreuzfahrtschiffe, Marineschiffe, Regierungen, Bergbau, Öl und Gas und andere Unternehmen.
Inspektion der O3b mPOWER-Satelliten-Hardware in der Produktionshalle von Boeing in El Segundo, Kalifornien. Dieser Satellit der nächsten Generation wurde mit deutlich weniger Komponenten und Masse entwickelt, was ihn wesentlich kompakter macht und gleichzeitig seine Kapazität drastisch erhöht.
SATVISION: Wie schaut es mit dem Datendurchsatz und den Latenzen aus?
Der Durchsatz beträgt bis zu mehrere Gigabit. Damit bietet das mPOWER-System von O3b eine einzigartige Skalierbarkeit. Der hohe Durchsatz bei niedriger Latenz ermöglicht die Bereitstellung von Konnektivitätsdiensten auf dem Niveau von Internetservices in Städten.
SATVISION: Können auch Haushalte in Deutschland von der „Gigabit aus dem All“-Power profitieren?
V. Leyendecker: Wir prüfen derzeit die Zusammenarbeit mit Partnern, um die Bereitstellung von O3b mPOWER-basierten Konnektivitätsdiensten in Deutschland in Zukunft zu ermöglichen. Dank der neuen O3b mPOWER-Flotte sind wir bei SES in der Lage, jeden Bedarf an Trunking, IP-Transit, mobilem Backhaul oder Carrier-Ethernet-Diensten besser als je zuvor zu decken. Wir können auch Bandbreitenzuführungen zu bestehenden Netzen sowie Backup-Lösungen über Satellit als Ergänzung zur Glasfaser realisieren.
SATVISION: Was ist der Unterschied bzgl. der Internetversorgung zwischen den SES-Satelliten und einer LEO-Flotte wie Starlink? Wo liegen die jeweiligen Besonderheiten oder auch Grenzen?
V. Leyendecker: Jede Umlaufbahn hat ihre eigenen Vorteile, auch LEO. Unser Schwerpunkt bei SES liegt nicht auf LEO-Breitbanddiensten für Verbraucher mit geringerem Bandbreitenbedarf, die im Fokus von Anbietern wie Starlink stehen. Wir konzentrieren uns auf die High-End-Märkte und die Bereitstellung von Diensten in Netzbetreiber-Qualität, also mit hoher Flexibilität und hohem Durchsatz, wie sie in Segmenten wie Kreuzfahrt, Luftfahrt oder öffentlicher Hand benötigt werden. LEO erfordert Hunderte oder Tausende von Satelliten in Erdnähe, um ein Netz zu bilden, das die gesamte Erde abdeckt, im Gegensatz zu nur sechs Satelliten in der MEO-Umlaufbahn.
Das O3b mPOWER-Satellitensystem wird Ende 2022 Konnektivitätsdienste mit bisher unerreichter Flexibilität und Skalierbarkeit für Unternehmen und Behörden in aller Welt bereitstellen.
SATVISION: Welche Partner konnten Sie bereits für das b2b-Geschäft an Bord holen?
V. Leyendecker: Wir haben bereits mit zahlreichen Kunden auf der ganzen Welt Verträge für O3B mPOWER abgeschlossen, etwa mit Orange, Princess Cruises, Virgin Voyages, iSAT Africa – und Microsoft. SES ist ein enger Geschäftspartner von Microsoft und Gründungsmitglied des Azure Orbital-Ökosystems. Microsoft ist auch der erste Cloud-Anbieter, der O3b und O3b mPOWER-Konnektivität für die Azure-Dienste nutzen wird. Ferner werden wir vier von fünf großen Kreuzfahrtgesellschaften mit O3b mPOWER bedienen, darunter Carnival/Princess Cruises und Virgin Voyages sowie Mobilfunknetzbetreiber. So wird zum Beispiel die Bevölkerung auf der östlichsten Halbinsel Afrikas dank der Partnerschaft zwischen SES und iSAT Africa in der Lage sein, 4G-Dienste auf ihren Mobiltelefonen zu nutzen.
SATVISION: Bitte vervollständigen Sie zum Abschluss den folgenden Satz: „Für SES als Satellitenbetreiber ist O3b mPOWER insofern von großer Bedeutung, als dass …“
V. Leyendecker: … wir dadurch die Bereitstellung von Konnektivitätsdiensten für Unternehmen und Regierungen auf der ganzen Welt massiv ausbauen und deren wachsenden Netzbedarf decken können.
SATVISION: Vielen Dank für dieses Gespräch.
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