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Interview mit Fraunhofer IIS

27. Oktober 2022

Der mit Abstand größte Teil der Bevölkerung wünscht sich ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit. Doch die Realität sieht leider anders aus. Die letzte Flutkatastrophe im Ahrtal hat im vergangenen Jahr mehr als deutlich gezeigt, wie elementar wichtig es gewesen wäre, die Bevölkerung frühzeitig zu warnen, um Leben zu retten. Darüber hinaus findet gegenwärtig ein schrecklicher Angriffskrieg in der Ukraine statt. Auch Terroranschläge gehören zur realen Gegenwart. Mit dem EWF-Warnsystem soll schon bald vor solchen Katastrophen möglichst frühzeitig und ganz ohne Verzögerung über das Digitalradio DAB+ gewarnt werden, um Leben zu schützen. Über den innovativen Notfall-Warndienst, wie dieser in praxi funktioniert und welche Digitalradios schon heute das EWF-Warnsystem unterstützen, dazu sprachen wir mit Olaf Korte vom Fraunhofer Institut.

SATVISION: Was verbirgt sich hinter der Abkürzung EWF und was bedarf es für die Nutzung?

Olaf Korte: EWF ist die Abkürzung für „Emergency Warning Functionality“.

Der innovative Notfall-Warndienst für Digitalradio kombiniert dazu im DAB+ Standard bereits vorhandene Dienste-Merkmale zu einem leistungsfähigen und barrierefreien Echtzeit-Warndienst.

Eine Alarm- und Aufweckfunktion bringt laufende und sogar im Standby befindliche EWF-DAB-Radios dazu, auf das warnende Programm umzuschalten. Die eigentliche Warnung besteht dann aus einer kurzen, prägnanten Audiomeldung als direkte Handlungsanweisung und wird durch detaillierte Textnachrichten im Journaline-Format ergänzt werden. Die Journaline-Texte bieten dabei Detailinformationen zum Warnfall, die für eine Handlungs-anweisende Audiomeldung zu umfangreich wären und helfen auch Hörbehinderten die Meldung zu verstehen. Durch die Unterstützung mehrerer Sprachen werden zudem Fremdsprachler durch die Textmeldungen gezielt informiert. Darüber hinaus stehen die Journaline-Inhalte auch zur Anzeige auf öffentlichen Anzeigetafeln mit DAB-Empfangsmodul zur Verfügung, damit diese trotz Ausfall anderer Zuführungswege wie Mobilfunk und Internet, wichtige Warninhalte anzeigen können.

SATVISION: Für welche Warnfälle respektive Gefahrenlagen ist das Warnsystem prädestiniert?

Korte: EWF soll insbesondere bei schweren Warnlagen, bei denen große Lebensgefahr besteht, zum Einsatz kommen. Hier spielen Schnelligkeit und Zuverlässigkeit auch beim Zusammenbruch von Infrastrukturen eine wichtige Rolle.

Aktuelle Beispiele aus den letzten Jahren waren z. B. die Ahrtal Flut­katastrophe sowie der Terroranschlag im Oktober 2019 in Halle.

SATVISION: Welche Vorteile bietet das Warnsystem im Vergleich zu einer Warn-App oder einer SMS-Benachrichtigung?

Korte: EWF kann unabhängig von der Teilnehmerzahl in Echtzeit warnen. Rundfunksysteme erweisen sich in schweren Katastrophenlagen weltweit immer wieder als robuster als die komplexere Infrastruktur von Internet und Mobilfunk.

Es hat sich in den bisherigen Warnsituationen bei großen Warnlagen gezeigt, dass die Server zu Warn-Apps aufgrund der großen Zahl der einzeln zu adressierenden Empfänger überlasten und hierdurch ein Teil der zu warnenden Personen erst mit größerer Verzögerung erreicht wird.

SATVISION: Warum ist der Rundfunk Ihrer Ansicht nach insbesondere im Krisenfall unverzichtbar?

Korte: Man erreicht über Rundfunk bereits mit wenigen Sendern eine sehr hohe Reichweite und kann so den Großteil der Bevölkerung zuverlässig mit Informationen versorgen.

Sendenetze für Rundfunk sind im Vergleich zu anderen Kommunikations-Infrastrukturen wie Internet und Mobilfunk leichter zu schützen, leichter über lange Zeiträume mit Notstrom zu versorgen und im Schadensfall auch relativ schnell wieder aufgebaut.

Über Autoradios stehen den Hörern auch bei Stromausfall in den meisten Fällen noch über lange Zeiträume Empfangsgeräte zur Verfügung.

SATVISION: Wie erfolgt die Ausspielung einer EWF-Warnung in der Praxis und wie schaut es mit möglichen Verzögerungen aus? Würden Sie die Alarmierungskette sowie die technische Umsetzung bitte einmal im Detail erläutern?

Korte: Die EWF-Warnung wird über das Modulare Warnsystem (MoWaS) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BBK) ausgelöst.

Dazu erhält MoWaS von einer Warninstanz, z. B. einem Lagezentrum eines Landkreises oder einer integrierten Feuerleitstelle, eine Warnmeldung. MoWaS stellt hierbei bereits zu Beginn sicher, dass nur autorisierte Stellen Warnungen für ihre jeweiligen Warngebiete auslösen können. Anschließend werden die Warnungen von MoWaS an die sogenannten Warnmultiplikatoren weitergeleitet. Dies ist z. B. neben den Warn-Apps und neuerdings auch Cell-Broadcast auch das Medium Digitalradio DAB+.

Im Idealfall ist hierbei die gesamte Auslösekette automatisiert und im Fall von DAB+ werden die MoWaS-Warnungen automatisch in den Audioteil sowie die Journaline-Textinhalte konvertiert und in Kombination mit dem Alarmierungssignal für die Aufweck- und Umschaltfunktion zur Aussendung gebracht. Hierdurch können Alarmierungszeiten von unter 10 Sekunden von der Warnauslösung bis zum Empfang auf den DAB+ Radios erreicht werden.

Insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Programmanbietern gibt es bzgl. einer vollautomatisierten Aussendung noch Bedenken und man zieht bisher die manuelle Verarbeitung und Alarm-Auslösung der über MoWaS erhaltenen Warnungen vor. Deutschlandradio hat jedoch bereits zum Warntag 2020 gezeigt, dass auch mit einer solchen manuellen Auslösung über ein herkömmliches Rundfunkstudio eine EWF-kompatible Warnung möglich ist.

SATVISION: Wie viele DAB+ Radios sind aktuell mit dem EWF-Warnsystem ausgestattet und lässt sich dieses auch nachrüsten?

Korte: Aktuell gibt es erst wenige EWF-fähige Radios am Markt.

Die auf der IFA gezeigten Radiomodelle der Firma TELESTAR sind die ersten vollwertig EWF-fähigen DAB+ Radios und kommen in den nächsten Wochen in größeren Stückzahlen in den Handel. Bei Erfolg plant TELESTAR weitere Radiomodelle mit der EWF-Funktion auszustatten.

Eine Nachrüst-Möglichkeit bestehender Empfänger kann nicht generell beantwortet werden, wäre aber bei Geräten mit Firmware-Update-Funktion zumindest denkbar, wenn auch aufgrund des Aufwandes für die Hersteller eher unwahrscheinlich.

Wir erwarten jedoch aufgrund der Aktivitäten des Digitalradio Deutschland e. V., dass ab dem kommenden Jahr weitere Gerätehersteller EWF-fähige Radios anbieten werden.

SATVISION: Erfolgt die Warnung bundesweit in allen DAB+ Sendenetzen oder gibt es hier noch Lücken zu schließen?

Korte: Hier stehen wir in Deutschland – und auch in anderen Ländern – noch am Anfang. Zur Zeit haben wir in Deutschland erst wenige Sendenetze, die EWF unterstützen. Als wichtigstes Sendenetz ist hier der erste bundesweite DAB+ Multiplex zu nennen. Neben einigen ersten Versuchen in Bayern und Sachsen-Anhalt erwarten wir jedoch im kommenden Jahr eine Ausweitung der Unterstützung in weiteren DAB+ Multiplexen. Hierzu laufen innerhalb des Digitalradio Deutschland e. V. Gespräche zwischen den Marktteilnehmern und es gibt auch einen intensiven Austausch des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BKK) und den Netzbetreibern und den öffentlich-rechtlichen Programmanbietern.

SATVISION: Zu welchem Zeitpunkt ist der offizielle Start des EWF-Warnsystems (in welchen Gebieten) geplant und welche Maßnahmen sind bis dahin noch erforderlich?

Korte: Einen genauen Termin dazu gibt es bisher nicht, jedoch wollen sowohl Politik als auch das BBK nach Abschluss der Einführung von CellBroadcast den Fokus auf EWF für Digitalradio DAB+ richten, um auch hier möglichst zeitnah zu einem verlässlichen und flächendeckend verfügbaren Warnmittel zu kommen.

SATVISION: Ist es in einem kompatiblen DAB+ Radio erforderlich, EMF manuell zu aktivieren oder erfolgt die Aktivierung bereits ab Werk?

Korte: EWF ist grundsätzlich ab Werk aktiv geschaltet. In einigen Radios ist es für den Nutzer möglich, die Alarmfunktion zu deaktivieren, was jedoch aufgrund der Wichtigkeit von EWF-Meldungen zu hinterfragen ist, zumal EWF-Meldungen nur sehr selten in wirklich schwerwiegenden Katastrophenlagen erfolgen werden.

SATVISION: Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: „Das EWF-Warnsystem schützt Leben, da …“

Korte: … es schnell und zuverlässig jeden Radionutzer über robuste Rundfunknetze auch in schweren Katastrophenlagen erreichen kann, über eine Weckfunktion verfügt und über den Journaline-Dienst auch Inhalte für Hörbehinderte und Fremdsprachler bereitstellt.

SATVISION: Vielen Dank für das Gespräch.

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