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Media Broadcast über die Zukunft von DVB-T in Deutschland

05. Juli 2013

Über kaum einen Empfangsweg wurde in den letzten Wochen hierzulande so viel gesprochen – DVB-T. Die terrestrische Verbreitung stand quasi kurz vor dem Aus. Denn nachdem die Mediengruppe RTL ihren Rückzug bekanntgab, haben viele Branchenkenner spekuliert, dass auch die ProSiebenSat.1 Gruppe kurze Zeit später verkünden würde, dem weniger attraktiven Empfangsweg den Rücken zuzukehren. Doch ProSiebenSat.1 hat sich für den terrestrischen Empfangsweg entschieden. Über die Zukunft von DVB-T sprachen wir mit Herrn Henrik Rinnert, Senior Vice President Business Unit TV bei Media Broadcast, Europas größter Full-Service Provider der Rundfunk- und Medienbranche.

Portrait Henrik RinnertHenrik Rinnert, Senior Vice President Business Unit TV, MEDIA BROADCAST

SATVISION: Der Empfangsweg DVB-T ist der günstigste Empfangsweg für den Zuschauer. Nachdem die Mediengruppe RTL angekündigt hat der DVB-TAusstrahlung aufgrund der hohen Verbreitungskosten den Rücken zuzukehren, hat sich die ProSiebenSat.1- Gruppe für den Empfangsweg DVB-T entschieden und will sogar die freiwerdenden Frequenzen von RTL zukünftig selbst nutzen. Hat RTL Ihrer Einschätzung nach die falsche Entscheidung getroffen und sich ein Eigentor geschossen?

H. Rinnert: Wir begrüßen die Entscheidung von Pro Sieben Sat.1 zur Verlängerung der Zusammenarbeit bei der DVB-T Verbreitung. Damit setzt eine große, relevante Privatsendergruppe auf Kontinuität bei rund fünf Millionen DVB-T Empfangshaushalten in Deutschland. Die Entscheidung der Mediengruppe RTL Deutschland bedauern wir natürlich, respektieren diese aber. Angesichts der Tatsache, dass sich RTL auf anderen europäischen Märkten wie z.B. Österreich durchaus an der Weiterentwicklung von DVB-T beteiligt, sind wir allerdings zuversichtlich, dass sich bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch RTL wieder für ein Engagement bei DVB-T entscheiden kann. Die Entscheidung von Pro Sieben Sat.1 ist in jedem Fall ein wichtiges Signal. Sie belegt nicht zuletzt die Zukunftsfähigkeit und das hohe Potential der Terrestrik.

SATVISION: In Deutschland nutzen rund fünf Millionen Haushalten das terrestrische Fernsehen, in Ballungsräumen nutzen oftmals mehr als 20 Prozent DVB-T als Erstempfangsweg. Wie bewerten Sie den bevorstehenden Reichweitenverlust für die Mediengruppe RTL?

H. Rinnert: Die Reichweite der Terrestrik ist wie erwähnt noch umfassender: Laut Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten nutzen rund fünf Millionen Haushalte in Deutschland die digital-terrestrische Verbreitung, drei Viertel davon sogar am einzigen oder meistgenutzten Gerät. DVB-T deckt nicht nur den Empfang auf dem großen Fernsehempfänger ab sondern ist die Technologie, die mobiles und portables Fernsehen erst möglich macht. Damit ist die Terrestrik besonders geeignet für die modernen Nutzungsszenarien der mobilen Gesellschaft. Dies ist ein wichtiger Faktor in der digitalen Distributionsstrategie der Inhalteanbieter.

Die kontinuierlichen Senderaufschaltungen auf DVB-T sprechen hier eine deutliche Sprache. Die gesamt strategische Bewertung der Terrestrik obliegt den TV-Sendern. Dass diese durchaus unterschiedlich ausfallen kann, zeigt die jüngste Entscheidung von Pro Sieben Sat.1. Mit der Fortführung der DVB-T Verbreitung gewährleistet Pro- SiebenSat.1 auch weiterhin zusätzliche Reichweite für den Werbemarkt.

SATVISION: Oder werden Ihrer Ansicht nach durch den DVB-T Ausstieg der Mediengruppe RTL viele Haushalte hierzulande den Empfangsweg wechseln und auf Satelliten- Kabel- oder IPTV umsteigen?

H. Rinnert: Über Antenne sind neben öffentlich-rechtlichen Programmen und Spartensendern jetzt auch weiterhin die vielfältigen Programme der Pro Sieben Sat.1-Gruppe verfügbar. Damit bietet DVB-T auch künftig ein attraktives Portfolio mit einem relevanten Set an Sendern. Dies sichert auf Dauer die Attraktivität des digitalen Antennenfernsehens, das mit einer technischen Reichweite von 95 Prozent zudem eine zentrale Rolle bei der Grundversorgung einnimmt. Darüber hinaus bietet dieser Empfangsweg Vorteile, die andere Übertragungswege schlichtweg nicht bieten.

In allen Flachbildschirmen ist DVB-T bereits integriert. Das heißt für den Verbraucher: Antenne einstecken, Suchlauf durchführen, Fertig. Der Empfang verursacht keine laufenden Kosten, unterstützt das portable und mobile Digitalfernsehen und ist damit unter dem Strich besonders verbraucherfreundlich. Ein Wechsel wäre für die Verbraucher durch die Installation einer Sat-Anlage oder den Vertragsabschluss mit einem Kabel- oder IP-Anbieter unbequem und teurer. Und dies angesichts der kontroversen Diskussionen um die Haushaltsausgabe. Kurzum: Wir sehen künftig keine signifikanten Wanderbewegungen weg von der Digitalantenne.

SATVISION: Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach der Empfangsweg DVB-T zukünftig hierzulande entwickeln? Stichwort: Digitale Dividende II – die den Mobilfunk stärken und den eingeschränkten Frequenzbereich für das terrestrische Fernsehen zukünftig weiter beschneiden könnte!

H. Rinnert: DVB-T hat weiteres Entwicklungspotential. So hat MEDIA BROADCAST am 20.02.2013 die „multithek“ – einfach mehr fernsehen- gestartet. multithek überträgt über die DVB-T Sender in den Ballungsräumen Zusatzinformationen, die den Besitzer eines modernen Fernsehers zu „hybriden Programm- Managern“ ertüchtigt. Um neben den DVB-T Programme die Zusatzangebote von mehr als 20 renommierten Partnern, darunter ARD, ZDF, QVC und QTom zu empfangen sollte man in einer der angeschlossenen DVB-T Ballungsräume wohnen und einen HbbTV-fähigen Fernseher ans Internet angeschlossen haben. Fertig! Mittelfristig ist abzustimmen, in wieweit wir neue Verfahren, wie DVB-T2, MPEG- 4, HEVC einsetzen, um die zur Verfügung stehenden Frequenzen optimal zu nutzen und gleichzeitig einen Qualtitätssprung (HD) zu ermöglichen. Langfristig müssen wir uns der Frage stellen, welche Medieninhalte zukünftig über Rundfunk-Technologien und welche Inhalte über Mobilfunk- Technologien übertragen werden sollten. Wir verfolgen dafür einen „Smart Broadcasting“ Ansatz: datenintensive, lineare und massenattraktive Inhalte über Rundfunk, Individualkommunikation und Sparteninhalte über Mobilfunk.

Die Frequenzen für DVB-T sollten bis auf weiteres für den Rundfunk gesichert bleiben. Wenn man eine Planungssicherheit hat, lassen sich leichter konstruktive Zukunftsansätze erörtern. Der Mobilfunk alleine wird den Medienkonsum der digitalen Gesellschaft angesichts steigender Datenvolumina nicht stemmen sein. Ein Beispiel: Aktuelle LTE-Flatrates würden bei durchschnittlichem TV-Konsum kaum 3 Tage reichen, von den Kosten ganz zu schweigen. Wir warnen daher eindringlich vor einer einseitigen Beschneidung des Frequenzspektrums und der avisierten Umwidmung des 700 MHz-Bandes für den Mobilfunk. Die ständige Zuweisung weiteren Spektrums an den Mobilfunk wird die Kapazitätsprobleme nicht lösen, sondern lediglich in die Zukunft verschieben. Und dies zu Konditionen, die den Medienkonsum für den Verbraucher um Größenordnungen verteuern würde. Dies kann gesamtgesellschaftlich, aber auch medien- und infrastrukturpolitisch nicht gewollt sein.

Eine TV-Verbreitung nur über Mobilfunk wäre vergleichbar mit der Verlagerung des Güterverkehrs von Wasser und Schiene alleine auf die Straße. Gefragt sind mithin intelligente Netze, welche die Vorteile der verschiedenen Technologien – one-to-one im Vergleich zu one-to-many – kombinieren, z.B. Special Interest-Content via Mobilfunk, massenattraktive Inhalte über Digitalterrestrik. Wir brauchen daher jetzt einen branchenübergreifenden Dialog über die Zukunft der Mediendistribution in Deutschland, und zwar auf Basis langfristig verlässlicher politischer Rahmenbedingungen. Das bedeutet insbesondere Sicherung der bestehenden Frequenzressourcen.

SATVISION: Welche Chancen sehen Sie für eine Verbreitung von TV-Programmen in HD-Qualität via DVB-T? Werden wir die Einführung des Nachfolgestandard DVB-T2 hierzulande verschlafen?

H. Rinnert: Allen Marktteilnehmern ist bewusst, dass wir die Digitalterrestrik weiter entwickeln müssen. Eine wichtige Basis ist wie erwähnt die Unterstützung seitens Politik und Regulierung. In Einklang mit den bestehenden Abkommen zur Verbreitung via DVB-T muss zugleich diskutiert werden, wie wir die technischen Innovationen umsetzen und das Frequenzspektrum noch effizienter nutzen – für mehr Programmauswahl, unterschiedliche Empfangsszenarien oder bessere Bildqualität. Unsere Tests sowie Aktivitäten auf ausländischen Märkten belegen: DVB-T2 ist marktreif. Und mit zukunftsweisenden Innovationen wie unserem jüngst gestarteten Hybrid TV-Portal „multithek“ zeigen wir, dass herkömmliche Programme und neue per IP zugeführte Programme intelligent verknüpft werden können und die digitale Antenne schon jetzt auf Augenhöhe zu anderen Verbreitungswegen agiert. Sowohl hinsichtlich sich wandelnder Nutzungsmuster der Zuschauer als auch des Bedarfs der Sender an neuen Refinanzierungsmodellen. Die Diskussion dazu beginnt gerade, und wir beteiligen uns aktiv daran.

SATVISION: Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: Der Wegfall der RTLProgramme via DVB-T bedeutet für den terrestrischen Empfangsweg, dass …

H. Rinnert: … TV-Anbieter zusätzliche Ressourcen auf DVB-T nutzen können und der Zuschauer von neuen Programminhalten profitieren wird.

SATVISION: Vielen Dank für das Gespräch.

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