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Geheimer Radiosender

28. Mai 2020

Was erwartet man von einem Radiosender? Gute Musik, interessante Wortbeiträge, vielleicht noch Staumeldungen und einen aktuellen Wetterbericht. Der russische Sender ANVF kann keinen dieser Inhalte bieten, lockt aber tausende technikbegeisterte Menschen auf der ganzen Welt an die Empfangsgeräte und fasziniert nicht zuletzt durch den Hauch von Spionage und verborgenen Geheimnissen.

Während sich der Radioempfang in Deutschland zunehmend auf den kristallklaren Klang über DAB+ oder Internet-Streams verlagert, passiert auf der analogen Kurzwellenfrequenz 4.625 kHz, welche sich mit jedem handelsüblichen Kurzwellen- oder Weltempfänger besonders in den Abendstunden gut empfangen lässt, eher wenig: Der Großteil der Sendezeit von „The Buzzer“ besteht aus einem kurzen, monotonen Brummton, der etwa 25 Mal pro Minute wiederholt wird. Den Spitznamen (zu deutsch: Der Summer) vergaben Amateurfunker in den 1990er Jahren aufgrund des ab diesem Zeitpunkt ausgestrahlten Summtones. In der Zeit seit dem Sendebeginn in den 1970er Jahren versprach das Programm jedoch auch keine größere Abwechselung, denn dort wurde ein kurzer, sich im Intervall von zwei Sekunden wiederholender, Piepton gesendet. Die Radiostation wird vermutlich von den russischen Streitkräften betrieben.

Wie kann es nun sein, dass Piepen und Brummen auf einer verrauschten Frequenz so viel Interesse auslösen kann? Da keine offiziellen Informationen über Sinn und Zweck der Sendestation vorliegen existieren natürlich umso mehr Spekulationen und Theorien, was es mit ihr auf sich hat. Eine der populärsten davon besagt, dass es sich bei „The Buzzer“ um einen sogenannten Zahlensender handelt, ein Relikt aus Zeiten des Kalten Krieges. Militärs und Geheimdienste können mit Hilfe einer solcher Technik weitgehend ungefährdet und zuverlässiger als beispielsweise über Telefon und Internet mit ihren Agenten im Ausland kommunizieren. Dabei ist das Vorgehen aus vielen Spionagethrillern bekannt: Der Sender überträgt für Außenstehende sinnlos erscheinende Zahlen- oder Buchstabenkolonnen und ein Agent schreibt mit und dechiffriert sie anschließend mittels Codebuch oder ähnlichen Hilfsmitteln.

Eine besonders gewagte Theorie im Internet geht davon aus, dass ANVF als sogenannter Totmannschalter fungieren soll, bei dem der Signalton anzeigt, dass eine militärische Anlage noch in Betrieb sei. Sollte er verstummen könnte dies im schlimmsten Fall sogar einen russischen Nuklearangriff auslösen.

Ernster zu nehmende Experten sprechen davon, dass der Summton einen sogenannten Channel-Marker bilden würde, der (ähnlich dem Freizeichen beim Telefon) signalisiert, dass die Frequenz frei ist. Zweck des Senders könnte die Übertragung verschlüsselter Nachrichten an andere Sende- und Empfangsstationen im Gebiet der russischen Föderation sein. Dem Buzzer soll dabei die Aufgabe einer Verteilerzentrale zukommen, denn er sendet, anders als andere Stationen, in verschiedenen Formaten und mit verschiedenen Rufzeichen.

Abweichungen vom Sendebetrieb gab es in vielen Jahrzehnten nur selten: So kam es im Jahr 2010 zu einem kurzen Ausfall nach dem der Markerton tiefer und langsamer wurde. Im September 2010 wurde der Betrieb für mehrere Tage eingestellt um dann, erstmals in der Geschichte des Senders, ein Musikstück aus Tschaikowskis Schwanensee Ballett zu spielen, sowie im Jahr 2015 ein weiteres Stück eines bekannten russischen Musikers. Zwischenzeitlich waren im Hintergrund auch vereinzelt Gespräche zu hören, welche mutmaßlich von Technikern vor Ort stammten.

Auch der Sendestandort gibt weitere Rätsel auf – Befand er sich bis 2010 in einem als militärisches Sperrgebiet klassifiziertem Waldgebiet im kleinen Ort Powarowo (etwa 30 km von der russischen Hauptstadt Moskau entfernt), konnte der neue Standort von Amateurfunkern mittels Triangulation in Naro-Fominsk ermittelt werden. Ein über mehrere Jahre betriebener weiterer Sendestandort in der Nähe von St. Petersburg, welcher zeitweise die Übertragung des Programms übernahm, ist seit 2015 nicht mehr in Betrieb. Im Rahmen des Sendebetriebes, der inzwischen fast ein halbes Jahrhundert andauert, änderte sich mehrfach das Rufzeichen, von Anfangs UZB-76, zu MDZhB (2010–2015) zu ZhUOZ (bis März 2019) bis zur aktuellen Bezeichnung ANVF.

Wer sich selber in Zeiten von kaltem Krieg und Spionagephantasien versetzen will, muss hierfür noch nicht einmal einen Weltempfänger entstauben, denn die Internetseite uvb-76.net bietet beispielsweise einen Live-Stream sowie Aufzeichnungen von ANVF / The Buzzer an.

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